Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung und Autismus-Spektrum-Störung:

Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung und Autismus-Spektrum-Störung:

AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung) und ASS (Autismus-Spektrum-Störung) sind beide neuronale Entwicklungsstörungen, deren Beginn sich bereits  in der Kindheit manifestiert. Die Symptombilder überschneiden sich teilweise und auch das komorbide (gemeinsame, zeitgleiche) Auftreten ist möglich. Die folgenden Informationen sollen dem Verständnis der beiden Störungen beitragen sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Symptombild und der möglichen Behandlung beschreiben.

AD(H)S ist durch Probleme mit Aufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität gekennzeichnet. Betroffene Personen haben Schwierigkeiten, sich auf eine bestimmte Aufgabe zu konzentrieren, neigen zu impulsivem bis hin zu risikoreichem Handeln und können übermäßig aktiv oder unruhig sein, sowohl körperlich als auch mental. Beispielsweise berichten Betroffene von einer erhöhten Ablenkbarkeit durch externe Reize, aber auch eigene Gedanken, die das Beginnen, konsequente Durchhalten und Beenden von Aufgaben, besonders wenn diese nicht als interessant empfunden werden, erschweren oder unmöglich machen. Während einige Aufgaben nicht angegangen werden können, wird an anderer Stelle schnell gehandelt. Spontan werden Entscheidungen über das eigene Leben und beispielsweise den Kaufkonsum entschieden, welche im Nachhinein als undurchdacht eingestuft werden und zu finanziellen Schwierigkeiten oder Unfällen führen können. Nicht nur die Gedanken der Betroffenen rasen, sondern auch der Körper hat einen erhöhten Bewegungsdrang. Besonders bei Kindern ist dieser stark ausgeprägt, doch auch erwachsenen Betroffenen mit ADHS fällt längeres Stillsitzen schwer. Sie wechseln ihre Sitzposition, wippen mit dem Fuß, spielen mit den Fingern an Gegenständen oder stehen auch zu unangemessenen Zeitpunkten auf.

Neben diesen Hauptkriterien leiden viele Betroffene auch unter einer verminderten Stresstoleranz und emotionalen Labilität. Die Gefühlswelt wird als Achterbahnfahrt beschrieben und besonders in Belastungssituationen werden Routineaufgaben zum Endgegner. Die AD(H)S-Symptome zeigen ihre Wirkung in der Regel in mehreren, wenn nicht allen Lebensbereichen. Je nach Ausprägung der Symptome sind Störungsbild und der Leidensdruck von Person zu Person einzigartig und beides kann sich über die Lebensspanne verändern. Obwohl die Ursache und Entstehung der AD(H)S noch nicht abschließend erforscht wurde, konnte bereits in mehreren Studien eine deutliche Heritabilität festgestellt werden. Auch die Wahrscheinlichkeit, eine weitere psychische Störung zu haben oder zu entwickeln, ist bei einer von AD(H)S betroffenen Person stark erhöht. Neben Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen und Suchterkrankungen, kommt auch ein gemeinsames Auftreten der ADHS und ASS vermehrt vor.

Die Autismus-Spektrum-Störung kennzeichnet sich besonders durch Defizite in der sozialen Interaktion und Kommunikation und der Wiederholung begrenzter Verhaltensmuster. Diese Merkmale führen oft schon im Kleinkindalter, spätestens im Grundschulalter dazu, dass Betroffene in ihren Fähigkeiten eingeschränkt sind. Bis dato fehlt eine eindeutige Klärung der Ursache, jedoch konnte bereits festgestellt werden, dass genetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Je nach Manifestationsalter und Entwicklungsbeeinträchtigung wurden im ICD-10 unterschiedliche Diagnosen vergeben: Frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und Atypischer Autismus. Im ICD-11 und DSM-5 werden diese als eine Diagnose, Autismus-Spektrum-Störung, zusammengefasst und unter Umständen durch eine Störung der intellektuellen Entwicklung und/ oder Störung der sprachlichen Entwicklung ergänzt.

Beeinträchtigungen durch die ASS zeigen sich in der Kommunikation und sozialen Interaktion beispielsweise durch

  • Schwierigkeiten in der emotionalen Reziprozität (Reaktion auf oder Austausch von Emotionen),  nonverbalen Kommunikation (Körpersprache, Mimik, Gestik und/ Augenkontakt) und
  • Pflegen von Kontakten und Beziehungen (Kontakte knüpfen und situationsangemessenes Verhalten).
  • Beispiele für wiederholende und begrenzte Verhaltensmuster und Aktivität sind  sehr spezifische, unter Umständen ungewöhnliche Interessen, eine extreme oder nicht vorhandene Reaktion auf sensorische Reize (Licht, Gerüche, Textur), Routinen oder Rituale, welche exakt gleich durchgeführt werden müssen. Des Weiteren wiederholende Bewegungen mit den Händen (z.B. Schnipsen) und die verbale Wiederholung von Wörtern oder Phrasen.
  • Auch Schwierigkeiten, sich in andere Personen oder Gedankengänge hineinzuversetzen sind typisch für Betroffene mit ASS.

Die Forschung hat ergeben, dass besonders die angewandte Verhaltensanalyse eine geeignete Behandlungsmethode darstellt. Auch Logopädie, Sprachtherapie und eine medikamentöse Behandlung können unterstützend wirken. Jedoch muss für eine Behandlung zunächst eine Diagnose vorhanden sein. Bei einem ausgeprägten Störungsbild, insbesondere der autistischen Kernsymptome, wird ASS häufig bereits früh erkannt. Wird die ASS jedoch im Kindesalter übersehen, so kann dies den Lebensweg der Betroffenen, als auch die spätere Diagnose und Behandlung erschweren.

Viele Betroffene haben einen langen Leidensweg hinter sich, in dem verschiedene Diagnosen gestellt wurden, wobei die ASS aufgrund von begleitenden Komorbiditäten häufig übersehen wurde. Besonders bei normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz entwickeln Betroffene oft im Laufe ihres Lebens Kompensationsmechanismen, um ihre Defizite zu kaschieren. Sie können beispielsweise auswendig gelernte soziale Regeln anwenden. Trotzdem können viele Betroffene im sozialen und beruflichen Alltag Schwierigkeiten haben oder Komorbiditäten entwickeln, die ihre Lebensführung erheblich beeinträchtigen, auch wenn ihre kognitiven Fähigkeiten gut oder sehr gut ausgeprägt sind.

Besonders bei Frauen kann es im Laufe des Lebens aufgrund ihrer besseren sozialen Anpassungsfähigkeit und der Erfüllung stereotyper Rollenvorstellungen dazu kommen, dass sie weniger auffällig sind als Männer. Komorbide Störungen der ASS sind affektive Störungen, Zwangsstörungen, psychotische Störungen, Angststörungen und besonders häufig auch ADHS.

Die Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) und Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) weisen zahlreiche Gemeinsamkeiten auf. Beide sind früh beginnende Entwicklungsstörungen, treten besonders im Kindesalter häufiger bei Jungen auf und teilen genetische Grundlagen. Im Laufe des Lebens verbessern sich die Symptome in der Regel durch Kompensationsmechanismen, dennoch sind sie im Erwachsenenalter oft mit erheblichen Einschränkungen in der Lebensqualität verbunden. Symptomatisch zeigen sich Überschneidungen in Bezug auf Aufmerksamkeitsstörungen, Reizüberflutung, interaktionelle Schwierigkeiten, Probleme in der sozialen Kognition sowie Unruhe und impulsives Verhalten.

Sowohl bei ASS als auch bei ADHS wurden Defizite in der kognitiven Perspektivübernahme festgestellt, die die sozialen Anpassungsprozesse beeinflussen können. Bei ADHS sind Einschränkungen in der reziproken Kommunikation und Interaktion häufiger Folge von Unaufmerksamkeit und Ablenkbarkeit, während sie bei ASS auf ein Kerndefizit zurückgeführt werden. Dieses Beispiel zeigt gut auf, dass bestimmte Verhaltensweisen sowohl auf Menschen mit ADHS als auch ASS zutreffen können, jedoch der Grund sich unterscheiden kann.

Wenn ASS und ADHS gleichzeitig auftreten, sind einige Fähigkeiten noch stärker eingeschränkt. Zum Beispiel können Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit und der inhibitorischen Kontrolle bei Kindern mit ASS und ADHS die Fähigkeit zur Erkennung von Gesichtsausdrücken zusätzlich beeinträchtigen. Einige Symptome treten jedoch spezifischer nur bei einer der Störungen auf. Zum Beispiel sind repetitive Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen typischer für ASS, während Menschen mit ADHS sich nur schwer oder gar nicht an Routinen halten können und überdurchschnittlich schnell Langeweile empfinden. Hyperaktivität und Impulsivität, beispielsweise durch risikobehaftetes Autofahren, werden eher mit ADHS assoziiert.

Langfristig können sich die Symptome von Kindern mit ASS oder ADHS verändern, teilweise auch verbessern. So ist bei ca. einem Drittel der Menschen, bei denen in der Kindheit ADHS diagnostiziert wurde, im Erwachsenenalter die Symptomatik nicht mehr in einem Ausmaß vorhanden, welches die Aufrechterhaltung der Diagnose aus der Kindheit noch rechtfertigen würde.

Wenn jedoch eine Person von ADHS und gleichzeitig  ASS betroffen ist, scheint die Belastung nochmal erhöht zu sein. Sowohl ADHS und ASS als auch die Kombination der Störungen können von Person zu Person unterschiedlich aussehen und auch der Grad der Beeinträchtigung kann variieren.

Es ist wichtig, die Unterschiede zwischen ADHS und ASS zu erkennen, da eine genaue Diagnosestellung die Grundlage für eine angemessene Unterstützung und Behandlung bildet. Obwohl beide Störungen schwierige Herausforderungen mit sich bringen können, ist es möglich, mit geeigneten Maßnahmen und Unterstützung ein erfülltes Leben zu führen.